Frühere Filmvorführungen

Thema - Virtual Lovers

Partnersuche über Online-Foren und Second-Life-Spiele sind Teil unserer Alltagskultur geworden. Wir leben in Phantasien über vermeintlich reale Andere, spielen bewusst mit Liebesprojekten und -projektionen sowie kunstvoll entworfenen medialen Selbstkonzepten.
In Filmen wird diese doppelte Realität von wirklich und scheinbar Realem („Virtuellem“) schon seit Jahrzehnten eindringlich vorgeführt. Ethische und existentielle Fragen werden anhand der Kollision von realen und virtuellen Existenzformen zugespitzt. Die Liebe zu Replikanten (Blade Runner), intelligenten Betriebssystemen (Her), menschgewordenen Erinnerungen (Solaris) und Liebe in einer insgesamt virtuellen Realität, möglicherweise dem Wahnsinn (Abre los Ojos), sind die filmischen Varianten, mit denen wir in dieser Reihe aus dem Genre der Science-Fiction-Filme den Aspekt der virtuellen Liebe herausgreifen wollen.
Weil Virtuelles gerade nicht Irreales meint, sondern Aspekte und Funktionsweisen des Realen imitiert, übersteigert und entlarvt, können die typischen Bedingungen und Wirrnisse der Suche nach Liebe sich oft sehr grundsätzlich in den Filmen zeigen. Virtuelle Wesen erscheinen dabei als mangelhaft oder übermächtig – entsprechend müssen diese Erscheinungsformen in der filmischen Realität vernichtet oder nobilitiert werden.
Immer wieder werden die Grenzen zwischen Menschen und Imitat-Menschen wechselseitig überschritten – gibt es ein Mitfühlen, ein sich Verlieben, ein ethisches Handeln zwischen den „Arten“? Was passiert, wenn die künstlichen Wesen das Bewusstsein ihrer selbst als eigentlich exklusives Merkmal realer menschlicher Wesen erwerben? In diesen Filmen wird die Essenz des Menschen, seines Wesens und seines Schicksals zum Thema.
Es stellt sich die spannende Frage, ob die Vermengung von virtuellen und realen Beziehungsaspekten in unserer Alltagswelt auch dazu führt, dass die Unterscheidung von realer Erfahrung mit einem realen Gegenüber und Leben mit einer Erinnerung oder Projektion so schwierig und dramatisch werden könnte wie in den Visionen unserer Filme.
Dr. Mathias Lohmer und Dr. Corinna Wernz


Sonntag 22. März 2015, 17:30 Uhr
Blade Runner
- USA 1982 – R: Ridley Scott – B: Hampton Fencher, David Webb Peoples – K: Jordan Cronenweth – M: Vangelis – D: Harrison Ford, Sean Young, Rutger Hauer, Daryl Hannah – 113 min, OmU
Einführung und Kommentar: Matthias Baumgart, Mathias Lohmer, Corinna Wernz

Ridley Scotts Dystopie aus dem Jahr 1982 ist uns beängstigend nahe gekommen: Sie spielt in einem fiktiven Los Angeles des Jahres 2019, in einer riesigen, ständig verregneten und verdreckten Metropole voller beziehungsloser Einzelner. Ex-Cop Rick Deckard (Harrison Ford) übernimmt widerstrebend die Aufgabe, aufständische „Replikanten“ ausfindig zu machen, künstliche, spezialisierte Übermenschen mit unausgegorenen Emotionen, und sie dann auszuschalten. Ebenso widerwillig beginnt er, sich in Rachael (Sean Young) zu verlieben. Auch sie ist eine Replikantin, wird sich allerdings ihrer „Gemachtheit“ gerade erst bewusst. Der Science-Fiction-Film-noir kulminiert in einem Showdown zwischen Deckard und einem kämpferischen Replikantenpaar, Pris (Daryl Hannah) und Roy (Rutger Hauer). Zunehmend unklar wird dabei aber, wer kälter und gefühlloser ist: die Menschen oder die verfolgten Replikanten? Unter der Oberfläche aller Action stellt der Film uns die Frage: Was ist überhaupt „menschlich“, und was ist die „Realität“ der Liebe? .


Sonntag 19. April 2015, 17:30 Uhr
Her
– USA 2013 - R u. B: Spike Jonze - D: Joaquin Phoenix, Scarlett Johansson, Rooney Mara – 126 min, OmU
Einführung und Kommentar: Eva Friedrich und Katharina Leube-Sonnleitner

Theodore ( Joaquin Phoenix), der von einer Trennung beschädigte Held dieses Films, verfällt der körperlosen Stimme von Scarlett Johansson, die als Betriebssystem seines Rechners eigentlich nur seinen Alltag organisieren soll. Als personalisierte, künstliche Intelligenz mit dem Namen Samantha entwickelt dieses technische Wunder eine erstaunliche Persönlichkeit, deren Entstehung und Entwicklung in Anpassung an Theodores Wünsche wir mit atemberaubendem Tempo miterleben, vor allem aber mithören. Die Bedenkenlosigkeit, mit der nicht nur Theodore sich in aller Intimität im Netz bewegt, erschafft hier ein eigentlich beängstigendes, alles kontrollierendes, über-einfühlsames Fabelwesen. Die Gespräche mit ihr und in der Folge die Verliebtheit in sein von ihm selbst geschaffenes Gegenüber helfen Theodore paradoxerweise, sich dem wirklichen Leben wieder zuzuwenden. Das ist erstaunlich, denn auch in seinem Beruf bewegt er sich in einem irrealen Bereich: er schreibt fiktive Briefe für Fremde.
Eine doppelte virtuelle Existenz also, und reine Autoerotik trotz der verführerischen Stimme. Spike Jonze gelingt hier erneut, wie schon bei seinem großen Erfolg „ Being John Malkovich“ von 1999 , absonderlichstem Verhalten und absurden Motivationen den Anschein völliger Selbstverständlichkeit zu geben, so wie viele den heute üblichen Umgang mit intimen Aktivitäten im Netz für ganz normal anstatt verwunderlich halten. Was ist echt an Beziehungen und großen Gefühlen, was bedeuten Körperlichkeit und Phantasie… bedeutsame Fragen, die dieser zärtliche und ernsthafte Film stellt, trotz des kritischen Blicks auf die Kultur im Zeichen der Internetkommunikation.


Sonntag 07. Juni 2015, 17:30 Uhr
Abre los Ojos 
(Open Your Eyes) – Spanien 1997 – R: Alejandro Amenábar – K: Hans Burmann – D: Eduardo Noriega, Penélope Cruz, Najwa Nimri, Fele Martínez – 117 min (?) –OmU
Einführung und Kommentar: Salek Kutschinski und Andreas Hamburger

César, ein junger erfolgsverwöhnter Playboy (Eduardo Noriega) verliert durch den Anschlag einer eifersüchtigen Geliebten (Najwa Nimri) sein gutes Aussehen, die soeben gewonnene Liebe seines Lebens (Penélope Cruz) und seinen Verstand. Verunsichert durch komplexe Erzählstränge und Zeitschleifen kann auch der Zuschauer nicht recht zwischen Rahmen- und Binnenhandlung unterscheiden. Ebensowenig findet er Distanz zu den verzweifelten Bemühungen des nun verunstalteten Protagonisten, seinen früheren Zustand wieder vollständig herzustellen, insbesonders des einst so mühelosen Begehrtwerdens. Oder handelt es sich um Halluzinationen, um einen eventuell begangenen Mord aus dem Bewußtsein zu bannen? Ob Césars Erlebnisse real sind, zu einem Alptraum gehören oder, wie es zunehmend scheint, virtuell generiert werden, bleibt im philosophischsten Film Amenábars spürbarer in der Schwebe als in seinem Remake Vanilla Sky (2001). Um aufzuwachen und ins richtige Leben zu finden, muß César die Augen öffnen und einen Suizid riskieren.


Sonntag 05. Juli 2015, 17:30 Uhr
Соля́рис / Soljaris (Solaris)
- UdSSR 1972 - R: Andrej Tarkowskij - B: A. Tarkowskij und Friedrich Gorenstein - K: Wadim Jussow - D: Donatas Banionis, Nikolai Grinko, Natalja Bondartschuk, Jüri Järvet, Anatolii Solonizyn, Sos Sarkassian, Olga Barnet - 159 min, OmU
Einführung und Kommentar: Andreas Hamburger, Salek Kutschinski, Vivian Pramataroff-Hamburger

Von der Forschungsstation beim Planeten Solaris treffen wirre Nachrichten ein. Der Psychologe Kris Kelvin (Donatas Banionis) muss sich für immer von seinem alten Vater verabschieden, um die weite Reise dorthin anzutreten. Er trifft auf eine paranoide Crew, und er sieht seltsame Fremde. Plötzlich ist auch seine durch Suizid verstorbene Frau Hari (Natalya Bondarchuk) wieder bei ihm. Er versteht schnell, dass sie eine Ausgeburt des Planeten ist, der Kelvins eigene Phantasien materialisiert. Dennoch gelingt es ihm nicht, sich von ihr zu befreien. In Tarkowskijs ergreifend poetischer Verfilmung von Stanislav Lems gleichnamigem Roman (1961) wird die Beziehung des Protagonisten zu seiner virtuellen Geliebten zur analytischen Reise. Die Länge, die Tiefe und das langsame Tempo des Films, die vielen Wiederholungen schaffen einen meditativen Ort, der den Zuschauer im „Projektionsraum“ des Kinosaals in seine eigene Vergangenheit führt.


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