Frühere Filmvorführungen

Thema: FamilienVerhältnisse

Die Fortsetzung der Reihe „Film und Psychoanalyse“ widmet sich dem Thema persönlicher Entwürfe des familiär oder anders definierten Zusammenlebens in einer zunehmend unübersichtlichen Moderne und Postmoderne. Eine immer straffer getaktete und vernetzte Lebenswelt, verbunden mit der neuen Freiheit, soziale Rollen persönlich zu definieren – in diesem Spannungsfeld gedeihen viele Arten von privatem Glück, und ebenso viele gehen darin unter. Psychoanalyse und Film sind oft miteinander verglichen worden. Sie teilen den analytischen Blick hinter die Oberfläche, und sie (re)konstruieren mögliche Welten. In hunderten präzise reflektierten analytischen Sitzungen wird ein Leben nacherzählt, in hunderten genau arrangierten Einstellungen eine Filmhandlung künstlich zusammengefügt.
Die Anwendung der psychoanalytischen Methode auf das Kino sagt uns, entgegen landläufigen Annahmen, nichts über das Unbewusste unserer Leinwandhelden und ihrer zahlreichen Hersteller. Sie sagt uns etwas über uns selbst: über das individuelle Gefühlsleben und vor allem über das gemeinsame. Kino inszeniert die unbewusste Hoffnung auf ein neues, endlich einmal gelingendes Leben ebenso wie ihr Scheitern. Kino ist ein kollektives Deutungsangebot. Wir gehen hin, lachen und weinen, lassen uns überraschen oder genießen das Klischee. Hier formieren und formulieren wir unsere inneren Bilder. Immer jedoch bleibt der Resonanzboden das individuelle Gefühlsleben. Wenn uns der Film als artifizieller Traum in eine virtuelle Welt entführt, bleibt er doch immer darauf angewiesen, dass wir mitspüren können. Im anonymen dark room geteilter Intimität überlassen wir uns dem Wechselspiel von Spannung und Lösung, geleitet von der raffinerten Inszenierung aus Zeit und Licht, befeuert von der eigenen Sehnsucht.
Psychoanalyse von Filmen beruht, wie im Behandlungsraum, auf der Wahrnehmung und dem Benennen dessen, was im Hier und Jetzt unbewusst geschieht. Um dieses Wechselspiel zwischen Sehen und Reflektieren zu erproben, werden Analytikerinnen und Analytiker der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie, München, ausgewählte Filme zum Thema einleitend kommentieren und anschließend mit dem Publikum diskutieren.
Prof. Dr. Andreas Hamburger, Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie München und Universität Kassel


Mittwoch 18. Februar 2009, 21.00 Uhr
Serkalo (DER SPIEGEL)
– Sowjetunion 1975 – Andrej Tarkowski – 105 min, OmU
Einführung und Kommentar: Vivian Pramataroff-Hamburger

„Ein Rätsel ohne Lösung“. Tarkowskijs Film erzählt eine Geschichte ohne Anfang und Ende. Eine Geschichte der gebrochenen Identität eines in zahlreiche Spiegelungen und assoziative Rückblenden aufgelösten Protagonisten. Sie reflektiert Verlorenheit und Zeitlosigkeit des Subjekts in einem Irrgarten magischer Spiegel, der auch den Zuschauer hypnotisch einbezieht.


Mittwoch 14. Januar 2009 um 21.00 Uhr
TILSAMMANS (ZUSAMMEN!)
– Schweden 2000 – Lukas Moodysson – 106 min, OmU
Einführung und Kommentar: Matthias Baumgart

Schon der Titel von Moodyssons Komödie ist ironisch. Die erwachsenen Protagonisten, Mitglieder einer fundamentalalternativen Stockholmer WG des Jahres 1975, teilen zwar ein Haus und ihren aus heutiger Sicht absurd komischen Antikonventionalismus. Auf ihrer ständigen Liebes- und Sinnsuche kommen sie aber gerade nicht zusammen. Die Kinderfiguren, deren Perspektive der Regisseur in Kameraführung und Erzählhaltung aufgreift, machen das spürbar und suchen Auswege. Der Film lädt den Zuschauer einerseits ein zum Blick auf die eigene Geschichte; andererseits konfrontiert er uns auf traurig-witzige und unaufdringliche Weise mit der pathetischen Frage nach der Unstillbarkeit menschlicher Sehnsucht.


Mittwoch 17. Dezember 2008, 21.00 Uhr
American Beauty
- USA1999 – Sam Mendes – 122 min, OmU
Einführung und Kommentar:Heidi Spanl

Bürgerliche Familienstrukturen in einem amerikanischen Vorort beginnen zu bröckeln. Ein Vater, der in einer „Midlife Crisis“ steckt, will ausbrechen. Mit Hilfe von Marihuana, Fitnesstraining, Jobaufgabe und Verliebtheit hofft er, das Lebendige seiner Jugendzeit wieder zu finden. Seine Frau verkörpert ein perfektes, modernes karrieregeleitetes Frauenimage. Die Tochter, die in ihren Eltern kein ideales Vorbild mehr findet, ist auf der Suche nach authentischer Identität und eigenen Lebensformen. Eine Familie, die dominiert wird von väterlicher Autorität und Gewalt, zieht in das Nachbarshaus ein. Ein Vater der sein eigenes homosexuelles Begehren paranoid abwehrt. Eine Mutter die schweigt, sich resigniert vom Leben zurückgezogen hat und ihrem Sohn nicht beistehen kann. Der Sohn der ständig filmt, das Leben durch die Kamera entdeckt und dieses archiviert. In einer Liebesbeziehung mit der Nachbarstochter lässt er sich erstmals sinnlich berühren. Brüchige Familienstrukturen und Identitätsstrukturen können nicht mehr mit Hilfe eines bürgerlichen Korsetts gekittet werden, sondern erfahren ihre Eigendynamik im Zeitalter der Postmoderne. Träume und Sehnsüchte scheinen zeitlos zu sein, symbolisiert in der Rose.


Mittwoch 12. November 2008, 21.00 Uhr
Antonias Welt
– NL/B/GB 1995 – Marleen Gorris – 102 min, OmU
Einführung und Kommentar: Günter Völkl

IMarleen Gorris´ oskarprämierter Film erzählt poetisch und in eindrucksvollen Bildern eine Familiensaga, die sich über mehrere Frauengenerationen erstreckt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg kehrt Antonia zusammen mit ihrer Tochter Danielle in ihr Heimatdorf zurück, um den elterlichen Hof zu übernehmen. Der von Männern bestimmten, teilweise gewalttätigen dörflichen Gemeinschaft tritt sie in ihrer emanzipierten, mitfühlenden und sehr weiblichen Art entgegen und bewirkt Veränderungen, die märchenhaft erscheinen, ohne kitschig zu wirken. Ein mythischer und gleichzeitig realistischer, manchmal abgründiger Film, der auch die Frage nach der inneren Kompromissfähigkeit gegenüber den persönlichen Lebensansprüchen stellt.


Mittwoch 15. Oktober 2008, 21.00 Uhr
CACHÉ
– Österreich/ F/D – 2005 – Michael Haneke – 119 min
Einführung und Kommentar: Andreas Hamburger

Das subtile und beklemmende Drama, in dem die stumme Bedrohung durch anonyme Überwachungsvideos in die hermetische Welt einer Pariser Intellektuellenfamilie eindringt und eine verdrängte Biographie zum Vorschein bringt, ist ein starkes zeitgenössisches Beispiel dafür, wie der Film mit dem Zuschauer arbeitet. Eigene Seh- und Fühlgewohnheiten werden durchkreuzt und aufgebrochen, der Zuschauer wird zum Detektiv auf der eigenen Spur.


Mittwoch 17. September 2008, 21.00 Uhr
East is East
– GB 1999 – Damien O’Donnell – 96 min, OmU
Einführung und Kommentar: Irmgard Nagel

Der Film handelt von einer britisch-pakistanischen Großfamilie (Vater Pakistani und Besitzer einer Fish’n Chips-Bude, Mutter Britin aus der Arbeiterschicht, sechs Söhne, eine Tochter), die im Nordengland der 70er Jahre ihren Weg zwischen religiöser Tradition und modernem Lebensstil zu finden versucht. Im Mittelpunkt der als Multi-Kulti-Komödie beginnenden und sich zum Sozialdrama entwickelnden Handlung steht der Zwiespalt zwischen Liebe, familiärer Loyalität und eigener Selbstbestimmung. Hierbei wird der Zusammenprall der Kulturen oftmals humorvoll und mit einem Sinn für Situationskomik, aber auch mit dramatischer Intensität dargestellt, sodass man als Zuschauer oftmals nicht weiß, ob man lachen oder weinen möchte.


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