Frühere Filmvorführungen

Thema - Film im Film

Vor allem Anfang war die Nacht. Ob die Nyx der griechischen Mythologie mit ihren beiden Kindern Hypnos (Schlaf) und Thanatos (Tod) oder die Genesis mit "Es werde Licht….", die Entstehungsmythen der Menschheit drücken stets die Sehnsucht aus, das Dunkel der Nacht zu überwinden. Nachts erwacht eine eigene Welt der Träume, Ängste, Erscheinungen, Verwandlungen, Grenzüberschreitungen. Nachts erscheinen Probleme unlösbar, Ängste überwältigend, Krankheiten vernichtend. Aber die Nacht umfängt auch die Liebenden, schützt den Schlaf und die Träume, erquickt nach der Helligkeit und Hitze des Tages und zeigt das zauberhafte Firmament.
Der Film Noir, eine Paradox innerhalb des Lichtmediums Film, ist ein nächtliches Genre par excellence. Nicht nur, weil Handlung, Atmosphäre und Protagonisten nachtschwarz gezeichnet sind, sondern weil der Film Noir harte visuelle Kontraste, auffallende Licht-Schatten-Effekte und Schattierungen von Schwarz als stilistische Charakteristika einsetzt. Hier ist die Nacht die Zeit der Entwurzelten und Getriebenen, der Schlafwandler und Schattenwesen, der Träumer, Liebenden, Rächer und Mörder.
Die Nacht war und ist Thema der Künste. Romane des Schauerlichen in der Romantik, Poesie, Musik und Film versuchen, ihren Zauber zu erfassen. Auch Freuds "Die Traumdeutung " und sein Aufsatz "Das Unheimliche" zeigen die Bedeutung, die er dem menschlichen Erleben der Nacht zumaß.
Die Filme, die wir für diese Staffel von "Film und Psychoanalyse" ausgewählt haben, setzen Nacht und Dunkel nicht nur als Stilmittel ein, sondern beides hat als Quasi-Protagonist eine eigene dramaturgische Rolle- als Metapher für das Schicksalhafte, Traumhafte oder Depressive, für Einsamkeit und Verstrickungen aus der Vergangenheit, für die Vergeblichkeit von Illusionen. Oder einfach für eine rein durch die Nacht erzeugte elegische Stimmung, die Folgen hat…
Das Streulicht der Städte zwingt uns heute, in entlegene Weltgegenden zu reisen, um vollkommenes nächtliches Dunkel zu erleben und einen Nachthimmel, der das gewaltige Universum erahnen lässt…. Oder wir gehen ins Kino, wo das Dunkel des Kinosaals mit dem finsteren Geschehen auf der Leinwand verschmilzt
Katharina Leube-Sonnleitner


Sonntag 28. Oktober 2018, 17:30 Uhr
The Night of the Hunter
(Die Nacht des Jägers) – USA 1955 – R: Charles Laughton - B: James Agee – K: Stanley Cortez – M: Walter Schumann – D: Robert Mitchum, Shelley Winters, Lilian Gish, Billy Chapin. 89 Minuten, OmU
Moderation: Irmgard Nagel & Corinna Wernz

Am Ohio River, während der großen Depression der dreißiger Jahre, lernt der psychopathische „Wanderprediger“ und Frauenmörder Harry Powell (Robert Mitchum) in einem Gefängnis einen zum Tode Verurteilten kennen. Dieser hat bei einem Raub 10.000 Dollar erbeutet und das Geld bei seiner Familie versteckt. Nach seiner Entlassung macht sich Powell hinterlistig an die Witwe heran… Die verstörenden und dann wieder poetischen Nachtszenen, die in ihrer kontrastreichen Beleuchtung an expressionistische Filme und die berühmten Scherenschnittfilme von Lotte Rein

Filme über das Filmen sind Filme über das Leben. Denn nicht umsonst teilen die Psychoanalyse als Wissenschaft vom Innenleben und die Welt des Films einen zentralen Begriff, den der Projektion. Was allerdings im Kinosaal in voller Absicht und nach harter Arbeit geschieht, dass nämlich durch die Projektion eine Scheinwelt Gestalt annimmt, die gerade so realistisch ist, dass sie zumindest zeitweise zu überzeugen vermag, das passiert im Leben meist unbewusst und gerade deshalb oft mit Wucht: Wir alle projizieren unsere szenischen Vorstellungen und Lebensentwürfe auf Personen und Situationen, versuchen also Scripte umzusetzen und Anderen implizite Regieanweisungen zu geben, die sich nur allzu oft sträuben, weil sie eben gerade einem ganz anderen Drehbuch folgen. Während man in der frühen Psychoanalyse davon ausging, dass die Motivation zu einer solchen inszenierenden Projektion weitgehend einer naturwüchsig verstandenen Triebhaftigkeit des Menschen entspringt, rückt schon seit Jahrzehnten immer mehr das in Sozialisationsprozessen geschaffene Begehren in den Vordergrund. Sexualität, Männer- und Frauenrollen, narzisstisch Erstrebenswertes: das entspringt nicht der „Natur“, es wird täglich produziert und in Diskursen korrigiert, ist aber eben auch Quelle triebhaft verfolgter Rollenentwürfe. Inneres Begehren ist also nicht nur privat, sondern sozial. Eine Vorlage dafür aber bilden – unter anderem – die Figuren der Filmindustrie, die andererseits in einer Kreisbewegung das Begehren der Zuschauer aufgreifen und ausdrücken muss, um kommerziellen Erfolg zu sichern. Die in dieser Staffel gezeigten Filme bilden diese Verhältnisse auf vielfältigen Ebenen ab, indem sie Filmschaffende und Filmschaffen direkt thematisieren: Da wird um Drehbücher und Lebensentwürfe gerungen (Adaptation), da verlieren sich Menschen in veröffentlichten Imaginationen ihrer selbst (Sunset Boulevard), da wird schöpferischer Allmachtsanspruch durch soziale Unordnung zurechtgestutzt (La Nuit Americaine), da entdecken wir historische und moderne Schichten der Geschlechterverhältnisse (The French Lieutenant´s Woman), und erleben, wie Begehren - und Filmemachen - an der Anpassung an die „Wirklichkeit“ scheitern kann (le Mepris). Schließlich gilt ja auch für Filmschaffende, was Freud über uns alle sagte: „Das Leben ist nicht leicht“.
Matthias Baumgart


Sonntag 17. März 2019, 17:30 Uhr
Adaptation
(Adaption) - USA 2002 - R: Spike Jonze - B: Charlie & Donald Kaufman - K: Lance Acord - M: Carter Burwell – D: Nicolas Cage, Meryl Streep, Chris Cooper, Tilda Swinton - 115 min, OmU
Moderation: Andreas Hamburger

Der Kultfilm von Jonze und Kaufman, dem Dreamteam von Being John Malkovich, parodiert sich selbst und die Filmindustrie. Zugleich verhandelt er den medialen Paradigmenwechsel von der Lesekultur zur Bilderwelt. Der Arthouse-Autor Charlie Kaufman (Nicolas Cage) soll die poetische Dokumentation The Orchid Thief der Topjournalistin Susan Orleans (Meryl Streep) verfilmen – und zwar möglichst packend. Sein hoher Anspruch und die unmögliche Aufgabe versetzen ihn in einen ausweglosen writer‘s block. Sein (fiktiver) Zwillingsbruder Donald (Nicolas Cage) hat gerade einen Drehbuchkurs besucht und geizt nicht mit banalen Ratschlägen. In diesem von zunehmenden Turbulenzen gezeichneten Handlungsfeld ergeben sich inhärente Rollenkonflikte für Filmschaffende ebenso wie für das Publikum – gerade letzteres wird in diesem Film durch seine „metaleptische“, die eigene Form sprengende Erzählstruktur intensiv einbezogen. Ein Film, den man gehasst haben muss um ihn lieben zu können.


Sonntag, 14. April 2019, 17:30 Uhr
Sunset Boulevard
(Boulevard der Dämmerung) - USA 1950 - R: Billy Wilder - B: Charles Brackett, Billy Wilder, D.M. Marshman jr. - K: John F. Seitz - M: Franz Waxman - D: Gloria Swanson, William Holden, Erich von Stroheim, Nancy Olson – 155 min
Moderation: Matthias Baumgart

Jungautor Joe Gillis (William Holden) hat Probleme - keiner kauft seine Drehbücher. Zufällig gerät er, vor Schuldeneintreibern fliehend, auf das Anwesen der alternden Stummfilmdiva Norma Desmond (Gloria Swanson), die dort allein, nur mit ihrem Diener Max (Erich von Stroheim) lebt, umgeben von Devotionalien ihres früheren Ruhms. Auch der Film selbst lässt in bildsprachlichen Anspielungen, Altstars in Nebenrollen und düsterem Schwarz-Weiß die Stummfilmzeit wieder aufleben. Widerstrebend erklärt sich Joe bereit, Normas Drehbuchentwurf über das Leben der Salome zu bearbeiten. Aber Norma ist unkorrigierbar, auch was Joe betrifft: Er soll sie als Liebhaber zurück ins Leben begleiten und ihr gleichzeitig als finanziell abhängiger Unterstützer zu neuem Starruhm verhelfen, zur einzigen für sie akzeptablen Lebensform. Joe kann sich aus der verstrickten Verbindung nicht lösen, Norma keine ihrer Illusionen aufgeben. So taumelt die Geschichte einem katastrophalen Ende zu.


Sonntag, 26. Mai 2019, 17:30 Uhr
Le Mepris
(Die Verachtung) – F 1963 – R: Jean-Luc Godard – B: Jean-Luc Godard – K: Raoul Coutard – M: Georges Delerue – D: Brigitte Bardot, Michel Piccoli, Fritz lang, Jack Palance – 102 min
Moderation: Katharina Leube-Sonnleitner & Corinna Wernz

Der Film zeigt auf der Oberfläche der Bedeutung die Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten eines Filmprojektes mit allen emotionalen Krisen vor der wunderbar gefilmten Kulisse Capris. Auf einer nächsten, gar nicht verborgenen Ebene, geht es um Godards Auseinandersetzung mit den Bedingungen des Filmemachens, der drohenden Kommerzialisierung des Filmes und der Identität des Autorenfilmes. Drittens geht es bei dem Film um ein Metakunstwerk, wie wir es von Godard kennen: inwiefern gelingt es einem Autor, Regisseur, Künstler im Allgemeinen, gleichzeitig eine packende Geschichte zu erzählen und uns für die Bedingungen der Produktion von Kunst ernsthaft zu interessieren. Diese Gleichzeitigkeit von Erleben und Reflektieren markiert den Unterschied zwischen philologischem Seminar und Filmerlebnis.


Sonntag, 23. Juni 2019, 17:30 Uhr
La Nuit américaine
(Die amerikanische Nacht) – F 1973 – R: Francois Truffaut – B: Jean-Louis Richard, Suzanne Schiffmann, Francois Truffaut – K: Pierre-William Glenn – M: Georges Delerue – D: Jean-Pierre Léaud, Jacqueline Bisset, Francois Truffaut – 115 min
Moderation: Eva Friedrich & Mathias Lohmer

Ein Film über das Filmemachen, ein Film im Film, ein Film wie ein Traum - und manchmal auch ein Albtraum: Truffaut spielt Truffaut, also den Regisseur, der als ruhender Pol Ordnung und Orientierung in einen Reigen von Aufgeregtheit, Chaos und Katastrophen bringt, aber dabei immer auch auf die anderen hinter und vor der Kamera angewiesen ist. Für Truffaut war die „Gleichheit des Blicks“ wesentlich: die Perspektiven von acht wichtigen Charakteren werden gleichzeitig und gleichgewichtig gezeigt. Der Titel des Films bezieht sich auf ein Verfahren, bei dem mithilfe eines Blaufilters Nachtszenen am Tag gedreht werden können – ein Verweis auf die Täuschungen, die dem Kino als Verfahren notwendig zugrunde liegen. So wie der Film von einer Gruppe von Menschen handelt, die für eine bestimmte Zeit intensiv an derselben Sache arbeiten, sind auch wir Zuschauer im Kino als Gruppe vereint im Sehen des gleichen Filmes – und werden uns in der Diskussion damit beschäftigen, wie dieses gemeinsame Erleben zugleich den Film in uns „miterschafft“.


Sonntag, 07. Juli 2019, 17:30 Uhr
The French Lieutenant's Woman
(Die Geliebte des französischen Leutnants) - GB 1981 - R: Karel Reisz - B: Harold Pinter - K: Freddie Francis - M: Carl Davis - D: Meryl Streep, Jeremy Irons – 119 min
Moderation: Vivian Pramataroff-Hamburger

Auf der Vorlage des gleichnamigen Romans von John Fowles basierend erzählt der Film die Geschichte von Sarah Woodruff (Meryl Streep) im Viktorianischen England, die in Verruf gekommen ist, weil sie angeblich vorehelich eine sexuelle Beziehung mit einem französi-schen Leutnant gehabt habe. Der junge Charles Smithson (Jeremy Irons) verliebt sich in die geheimnisvolle Sarah und verlässt seine Verlobte, was ihn gesellschaftlich entehrt. Der Film setzt diese Liebesgeschichte in eine Rahmenhandlung: während der Verfilmung des Romans führen die Hauptdarsteller Anna (Meryl Streep) und Mike (Jeremy Irons) eine heiße Affäre. Weiblichkeits- und Männlichkeitsentwürfe von früher und heute werden mit Eleganz und Witz verglichen, und das Finale lässt alle Fragen offen.


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