Alle Filme werden im Filmmuseum München
St. Jakobs-Platz 1,
im Stadtmuseum gezeigt.
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alle früheren Filme:
"Nicht Herr im eigenen Haus zu sein gehört laut Freud, nach dem Zusammenbruch des geozentrischen Weltbildes, zu den größten Kränkungen der Menschheit: doch vom Unbewussten
beherrscht zu werden, obschon das Bewusstsein vermeintlich alles bestimmt. Wir sind also, bei allem Licht der Vernunft, gewissermaßen „blind“ für uns selbst. Neben der Literatur kann
gerade das Kino diese “conditio humana“ künstlerisch erfahrbar machen. Es drückt „Blindheit“ auf vielfältige Weise aus: implizite durch Auslassung, Überspringen, Nichtzeigen. Oder
explizit, als Darstellung von konkreter Blindheit. Es muss dabei - ganz in der Tradition der blinden Seher - nicht notwendigerweise der Blinde selbst sein, der etwas nicht sieht;
stehen ihm doch häufig andere Sinne in verfeinerter Weise zur Verfügung. Die Bedeutung von Blindheit in einem visuellen Medium geht jedoch über diese Aspekte hinaus. Wer blind ist,
muss für gewöhnlich in einer Welt leben und zurecht kommen, die für ihn (noch) weniger eingerichtet ist als für Andere, und so lauern, neben Gefahren in der äußeren Umgebung, auch
viele innere Ängste im Verborgenen. Durch die Poetisierung des Gebrechens, dass eben Blinden etwas fehlt, was anderen Menschen ganz selbstverständlich zur Verfügung steht, kann der
Kinogeher die existentielle Grundsituation identifikatorisch erfahren, die immer auch mit angstvollen Gefühlen von Ausgesetztheit zusammenhängt. Wir haben für diese Staffel Filme aus
unterschiedlichen Genres gewählt; in der Diskussion wollen wir unter psychoanalytischen Gesichtspunkten die unmittelbare Kinoerfahrung von Blindheit reflektieren. Dalí meinte, dass
Blindheit durch Schließen der Augen die besten Filme entstehen ließe, nämlich die der augenöffnenden Fantasie. Wir finden darin einen hilfreichen methodischen Ansatz, den im Kino
geschauten Film mit den „blindsehend“ selbstproduzierten Bildern in Beziehung zu setzen."
Dr. Salek Kutschinski, Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie München
Sonntag 26. Februar 2012, 17:30 Uhr
Edipo Re (Bett der Gewalt) - Italien 1967 – R: Pier Paolo Pasolini – K: Giuseppe Ruzzolini – M: Wolfgang Amadeus Mozart u.a.
- D: Franco Citti, Silvana Mangano, Alida Valli u.a. - 104 min, OmU
Einführung und Kommentar:
Salek Kutschinski und Heidi Spanl
Pasolinis Deutung des antiken und vielfach dramatisierten Mythos von der Tragik schuldloser Schuld, blinder Wahrheitssuche und sühnender Selbstblendung setzt sich vor allem mit
Sophokles´ Version, der einflussreichsten, auseinander. Die sprechenden Blicke im Familiendreieck und die verstörenden Beobachtungen des kleinen Jungen, was seine Eltern ohne ihn
treiben, scheinen psychoanalytische Konzepte über das Begehren zu bestätigen. Durch seinen Umgang mit Zeit und Raum gewinnt Pasolini zusätzlich eine für ihn zentrale politische
Perspektive. Dennoch: das Drehen der Schlafzimmerszene war für Citti (Ödipus als Erwachsener) angesichts der Mangano (Iocaste), dem Idol seiner Kindheit, mit einer sichtbaren Erregung
verbunden, für die er sich hinterher bei der sich geschmeichelt fühlenden Diva entschuldigte. Eine Duplizierung des ödipalen Dramas?
Sonntag 29. Januar 2012, 17:30 Uhr
Los abrazos rotos (Zerrissene Umarmungen) - Spanien 2009 – R: Pedro Almodóvar – K: Rodrigo Prieto – M: Alberto Iglesias -
D: Penelope Cruz, Lluis Homar u.a. - 127 min,
OmU
Einführung und Kommentar: Katharina Leube und Matthias Baumgart
Ein blinder Mann hat Sex mit einer Unbekannten; eine bildschöne Sekretärin arbeitet als Callgirl, um ihren sterbenden Vater versorgen lassen zu können; eine verhärmte Filmproduzentin
und ihr Sohn stehen in rätselhafter Beziehung zum blinden Protagonisten/Filmregisseur; es werden nebenbei zwei Drehbuchideen entwickelt; irgendwann mal wurde eine Komödie gedreht, die
zur Tragödie wurde; eine destruktive Beziehung zwischen einem schwulen, eher unsympathischen Filmfreak und dessen reichem, tyrannischen Vater; und die Entstehung eines Film-im Films…
.ziemlich viele Geschichten für eine Filmexposition. Was nach großer Verwirrung klingt, ist eine formal, inhaltlich und ästhetisch geschlossene Regiearbeit von Pedro Almodovar aus dem
Jahr 2009. Blind zu werden stellt wohl eine Urangst jedes Filmemachers dar. Im Film versucht der Protagonist, diese Lebenskrise durch Annahme einer neuen Identität unter einem
Pseudonym als Drehbuchautor zu bewältigen. Wenn ihm im Verlauf der Filmerzählung die Reintegration seiner beiden, durch ein Trauma gespaltenen Identitäten und die Überwindung einer
Art seelischer Blindheit, gelingt, dann hat das nicht von ungefähr mit der nicht mehr für möglich gehaltenen Fertigstellung seines letzten Films zu tun.
Denn für Almodovar ist Filmemachen Leben - und umgekehrt.
Sonntag 27. November 2011, 17:30 Uhr,
Rang-e khoda (Die Farben des Paradieses) - Iran 1999 – R: Majid Majidi, K: Hassan Hassandoost – D: Mohsen Ramezani, Hossein Mahjoub, Salameh Feyzi u.a. - 88 min, OmU
Einführung und Kommentar: Corinna Wernz und Eva Friedrich
In dem persischen Film geht es um die Erlebnisse eines blinden Jungen und die Wahrnehmung und Verarbeitung dieses handicaps durch den Protagonisten und seine Familie, insbesondere den
Vater. "Blindheit" wird in einer berührenden und dramatischen Entwicklung von einer bloß physischen Einschränkung zu einem Stigma, das die Selbstwahrnehmung und Handlungsmöglichkeiten
der unmittelbar und mittelbar Betroffenen schwer beeinträchtigt und in einem Desaster endet. Es erhebt sich die Frage, welche Bedeutung "Sehenkönnen","Bilder" und normabweichendes Sein
im persischen Kulturraum haben und wie Konfliktspannungen sozialer und innerfamiliärer Art durch die Beeinträchtigung der Weltaneignung durch den Gesichtssinn dargestellt werden.
Sonntag 23. Oktober 2011, 17:30 Uhr
Profumo di Donna (Der Duft der Frauen) - Italien 1974 - R: Dino Risi - B: Ruggero Maccari, Dino Risi nach dem Roman Il buio e
il miele von Giovanni Arpino - K: Claudio Cirillo - M: Armando Trovajoli - D: Vittorio Gassman, Alessandro Momo, Agostina Belli, Moira Orfei, Franco Ricci - 102 min, O m engl. U
Einführung und Kommentar: Vivian Pramataroff-Hamburger und Andreas Hamburger
Mit Profumo di Donna (Italien 1974) zeigt Dino Risi, der Altmeister der Commedia all’Italiana, ein anrührendes Melodram zur männlichen Identität. Dem blinden Hauptmann Fausto wird ein
Junge, den er einfach „Ciccio“ nennt, als Ordonnanz zugeteilt. Zusammen gehen sie auf eine Bildungsreise in Sachen Frauen. Der erfahrene Fausto zeigt dem Jungen die Welt der sexuellen
Lust, will aber selbst der ängstigenden Welt der zärtlichen Liebe entkommen. Erst am Ziel der Reise zeigt sich Faustos innerer Abgrund. Die dramatische Spannung ist in dieser
Erstverfilmung des Stoffes tiefer von Ambivalenz und Einsamkeit geprägt als in dem bekannten Remake mit Al Pacino (USA 1992). Blindheit ist im Ödipusmythos die Strafe für das
inzestuöse Begehren. Der wunderbar zerrissene Vittorio Gassmann trägt sie wie eine Waffe, ein Schutzschild gegen die Angst vor der Liebe. Selten sind wir als Zuschauer dabei mit dem
Blinden identifiziert – oft aber mit dem jungen, namenlosen „Ciccio“, der auf dieser Reise erst wirklich sehen lernt. Obwohl - oder gerade weil - am Schluss vieles offen bleibt.
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