Frühere Filmvorführungen

Thema - Das Böse

Stellvertretende Grausamkeit war schon im alten Rom eine staatstragende Belustigung. Die Faszination des Bösen zieht sich durch die Zivilisationsgeschichte. Emotionen wie Schauder, Angst, Schrecken, Widerwillen, Abscheu und Hass werden in der Kunst ästhetisch angeeignet und dadurch kanalisiert. Wenn im Western die Gerechtigkeit durch den Meisterschuss aus der Waffe des Helden siegt, genießen wir klammheimlich die Aggression im legitimen Gewand. Filmpsychoanalyse fragt danach, wann und warum wir das Böse im Kino suchen. Ist Aggression ein Trieb? Eine Reaktion auf gefühlte Bedrohung oder Verlust von sicherer Bindung? Ohnmacht und Wut entstehen, wenn wir uns an etwas anpassen müssen, das wir nicht kontrollieren können. Sie suchen ihr Ventil in der Faszination des Bösen. Das gilt für Zeiten von Krieg und Krise, aber auch von unterschwelliger Veränderung. Gegenwärtig stehen wir inmitten der globalen digitalen Revolution, und das hat die Spielregeln der Ästhetik des Bösen verändert: Es wird nicht mehr moralisch eingehegt, vielmehr haben negative Serienhelden ein Massenpublikum erreicht. In einem medialisierten und entkörperlichten Alltag, aufgerufen zu Dauerkonsum und Dauererfolg, in stets von Algorithmen angestacheltem und niemals gesättigtem Resonanzhunger im Netz schauen wir gern böse Filme an und bleiben brav. Oder?
Andreas Hamburger


Sonntag 04. Oktober 2020, 17:30 Uhr
Das Cabinet des Dr. Caligari
– Deutschland 1920 – R: Robert Wiene – B: Hans Janowitz, Carl Mayer – K: Willy Hameister – D: Werner Krauß, Conrad Veidt – 72 min
Einführung und Diskussion: Andreas Hamburger, Salek Kutschinski

 Der Film war nicht nur durch seine meisterhafte expressionistische Bildsprache ein Meilenstein der Filmgeschichte, sondern auch eine eindringliche Inszenierung des Bösen nach dem Schrecken des Ersten Weltkrieges. Siegfried Kracauer interpretiert ihn als verdrängte Vorahnung des Dritten Reichs. Aus filmpsychoanalytischer Sicht fragen wir danach, welche Identifizierungen er vor hundert Jahren im Publikum auslöste (oder in Frage stellte) und welche heute. Sind Cesare, der somnambule Mörder, und sein Meister, der Psychiater Dr. Caligari, politische Allegorien, oder geht es um Angst vor Auslieferung und Fremdkontrolle? Und wie wirkt der Film heute auf uns, in einer sich erratisch verändernden Welt, in der solche basalen Ängste auch wieder aufkommen?


Nach der Coronapause geht es weiter

Sonntag 21. November 2021, 17:00 Uhr
The Dark Knight
(Der dunkle Ritter) – USA, GB 2008 – R: Christopher Nolan – B: Jonathan und Chrisopher Nolan – K: Wally Pfister – M: Hans Zimmer, J.N.Howard – D: Christian Bale, Heath Ledger, Michael Caine, Gary Oldman - – 153 min, OmU
Einführung und Diskussion: Mathias Lohmer, Corinna Wernz

Im mittleren Film von Christopher Nolans Batman Trilogie, dem apokalyptischen babylonischen Drama „The Dark Knight“, wird Batman selbst fast zur Nebenfigur des faszinierend-schillernden, von Heath Ledger furios gespielten „Joker“, eines perfiden, sinisteren, dabei taxonomisch nicht fassbaren und zugleich uns bannenden Psychopathen, der die Ober- und Unterwelt von „Gotham City“ mit einer Serie von terroristischen Akten in Atem hält. In kongenialer Weise verkörpert der „Joker“ hier die archetypische Figur des „bösen Clowns“, berühmt geworden z.B. durch Stephen Kings Figur „Pennywise“ in „Es“. Zynismus, amoralische Komik und Charakterdeviationen erschaffen eine neue Variante des Bösen, eine rebellische Skrupellosigkeit, die manchen an das selbstgewisse und machiavellistische Auftreten aktueller öffentlicher Figuren wie Donald Trump oder Boris Johnson gemahnt. Der „böse Clown“ lässt einen allerdings nicht allein erschaudern, sondern lädt ein zur Identifikation mit seinem destruktiven solipsistischen Exzess, der in einer verführerischen, pseudophilosophischen Maxime gipfelt: „Ich bin das Chaos, und das Chaos ist fair“! “ruft der Joker - uns Zuschauern auch- zu?


Sonntag, 12. Dezembaer 2021, 17:00 Uhr
El laberinto del fauno
(Pans Labyrinth) – Spanien, Mexiko 2006 – R: u. B: Guillermo del Toro – K: Guillermo Navarro – M: Javier Navarrete – D: Ivana Baquero, Adriana Gil, Sergi López, Doug Jones – 119 min, OmU
Einführung und Diskussion: Irmgard Nagel, Eva Friedrich

Spanien 1944. Der Bürgerkrieg ist seit fünf Jahren vorbei, General Franco und sein faschistisches Regime beherrschen das Land. Die 11jährige Ofélia (Ivana Baquero) zieht mit ihrer hochschwangeren, kranken Mutter (Adriana Gil) in eine unwirtliche Gegend Nordspaniens. Hier macht der neue Ehemann und Stiefvater, der eiskalte, unerbittliche Capitan Vidal (Sergi López), Jagd auf Partisanen. Von der Brutalität und Unberechenbarkeit des Stiefvaters zutiefst geängstigt, flüchtet sich Ofélia immer wieder in eine Parallelwelt, die von wundersamen, schaurigen und mythischen Fabelwesen, wie dem geheimnisvollen Pan (Doug Jones), bevölkert wird. Aber auch in dieser verlockend schillernd-schaurigen Märchenwelt gilt es Aufgaben zu bewältigen, die das physisch-psychische Überleben sichern sollen. In diesem packenden, genreübergreifenden Horror-Fantasyfilm hält del Toro ein flammendes Plädoyer gegen alle Grausamkeiten des Krieges.


Sonntag 16. Januar 2022, 17:00 Uhr
A Clockwork Orange
(Uhrwerk Orange) - GB, USA 1971 - R: Stanley Kubrick - B: Stanley Kubrick nach dem Roman von Anthony Burgess - K: John Alcott - M: Wendy Carlos - D: Malcolm McDowell, Patrick Magee, Anthony Sharp - 131 min, OmU
Einführung und Diskussion: Matthias Baumgart

Alex (Malcolm McDowell) ist „böse“: Wenn es Nacht wird, stillt er mit seiner Gang die Lust auf „Ultra-Gewalt“, er verprügelt, vergewaltigt, wird schließlich zum Mörder. Aber der Film schafft keine „guten“ Gegenbilder, sondern inszeniert die Geschichte in einem plastifizierten, von sexualisierten Designobjekten überschwemmten Innenambiente und einer trostlosen Be-tonaußenwelt. Der Hauptprotagonist ist umgeben von ähnlich, nur anders lieblosen, latent perversen Nebenfiguren. Die Austreibung des Sadismus durch Konditionierungs-„Therapie“ ist ihrerseits sadistisch dargestellt. In greller Beleuchtung und mit extremen Kameraeinstellungen und –Brennweiten konfrontiert uns Kubrick mit einem misanthropischen Bildessay über eine ausweglos verdorbene Gesellschaft. Ist das nur abstoßend? Die unüberschaubare Menge lustvoll an- und nachgespielter Zitate dieses Films quer durch die Punk-, Pop- und Videowelt spricht (leider?) dagegen.


Neues vom Bösen

Der Pandemie zum Trotz, ja neu inspiriert durch die Erfahrung von Bedrohung und Isolation, widmet sich die Filmpsychoanalyse weiter dem Bösen auf der Leinwand. Menschen genießen seit jeher in der Kunst die ästhetische Aneignung ihrer abgewehrten Aggression – und je mehr wir uns besserer Einsicht fügen, umso lieber schauen wir uns das Böse im Kino an. Es kann die Gestalt einer unerkennbaren, namenlosen Bedrohung annehmen, wie in Michael Hanekes Wolfzeit, oder sich in die Gestalt einer immer gewalttätiger in ihre eigene Welt verrannten Protagonistin kleiden, wie in Rob Reiners Misery. In all seinen vielen Gesichtern spiegelt das Film-Böse doch immer uns, sein dankbares Publikum.
Andreas Hamburger


Sonntag 20. Februar 2022, 17:00 Uhr
Le Temps du Loup
(Wolfzeit) - F,A,D 2003 – R. u. B: Michael Haneke – K: Jürgen Jürges - D: Isabelle Huppert, Anais Demoustier – 113 min
Einführung und Diskussion: Katharina Leube- Sonnleitner

Haneke entwirft in diesem Film mit einfachen filmischen Mitteln eine dystopische Szenerie, in der etwas Entscheidendes verloren gegangen ist: die Welt, wie wir sie kannten. Eine durchschnittliche Familie bricht scheinbar ganz normal ins Wochenendhaus auf, wo sich nach wenigen Minuten völlig unvorhersehbar eine Katastrophe ereignet. Schockiert folgen wir Zuschauer der Familie bei ihrem Kampf ums Überleben, zunächst rein physisch, dann in einer zufällig zusammen gewürfelten Gemeinschaft von anderen Gestrandeten, auch sozial. Wir erfahren nicht, was eigentlich geschehen ist. Immerhin tröstlich ist die integrative Entwicklung der jungen Eva, die eine Zukunftshoffnung verkörpert. Haneke hatte dieses Projekt schon länger vor seinen erfolgreichen Filmen „Die Klavierspielerin“ und „Cache“ im Kopf und konnte es dann endlich nach dem Datum, das die Welt verändern würde, realisieren: dem 11. September 2001. Auch wir leben aktuell in einer Ausnahmesituation, der Pandemie. Hanekes Film zeigt allegorisch das bislang kaum Vorstellbare und Unheimliche unseres gegenwärtigen Lebens mitsamt den sozialen Folgen.


Sonntag 13. März 2022, 17:00 Uhr
Misery
1990 – USA - R: Rob Reiner – B: William Goldman - D: James Caan, Kathy Bates – 103 min
Einführung und Diskussion: Vivian Pramataroff-Hamburger

Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Stephen King erzählt der Film eine dramatische Geschichte von Faszination und Macht, Abhängigkeit und besitzergreifende Liebe. Die Krankenschwester Annie Wilkes rettet den bekannten Autor Paul Sheldon nach einem Autounfall und pflegt ihn bei sich zu Hause. Sie ist sein Fan Number One. Bald stellt sich heraus, dass Annie ihn nicht freilassen will. Wir sind mit ihrer (und unserer) Obsession für Idole konfrontiert, wie auch mit der Auslieferung des Autors, der seinem Publikum alles geben soll, was es von ihm erwartet. Der “Tod des Autors“ wird hier künstlerisch als Kammerspiel zugespitzt auf die existenzielle Frage, wie man die Liebe seines Publikums überlebt.

Alle Filme werden im Filmmuseum München, St.Jakobs-Platz 1 gezeigt.

© Münchner Filmgruppe