Frühere Filmvorführungen

Thema - Rache

Rache ist eine archaische Reaktion auf angebliches oder tatsächlich erlittenes Unrecht, die die Menschheit seit alters her begleitet. In filmischen Darstellungen von Rachephantasien, Rache­handlungen, Rachemotiven, Rachemechanismen, Racheaspekten sowie der Rachespirale spiegelt sich eine enge Verknüpfung von Rache - Kultur - Gesellschaftsstrukturen wider. Ob Rache als legitime oder normale Reaktion auf ein ungerechtes Geschehen akzeptiert wird oder nicht, hängt insbesondere davon ab, wie unverhohlen Rachemechanismen im Alltagsleben sowie in der Recht­sprechung Ausdruck finden. In der Psychoanalyse kann der Begriff Rache verknüpft mit meta­psychologischen Konzepten wie „Todestrieb“ und „Primärer Neid“ gedacht werden, die den Angriff auf das Leben selbst und seine Objekte erklären wollen. So gesehen findet im Akt der Rache der „Todestrieb“ Befriedigung, indem das Objekt der Rache vernichtet wird. Man könnte Rache psychoanalytisch auch unter dem Gesichtspunkt des Anteils „narzisstischer Wut“, als Reaktion auf eine Demütigung, „narzisstische Kränkung“ reflek­tieren. In den Rachehandlungen der Filmfiguren werden archaische Aspekte des Hasses und des Neides, des Todes und der Zerstörung lebendig. Als Zuschauer können wir eigene Racheempfin­dungen via Identifikation sowohl ungestraft als auch scham- und schuldfrei zulassen. Es ist nicht notwendig, sich auf die Täter- oder Opferseite festzu­legen. Wir können unser sadistisches wie auch masochistisches Begehren erleben.
In dieser aktuellen Staffel werden wir uns mit unterschiedlichen Rachemotiven in Filmen beschäf­tigen und die unmittelbare Kinoerfahrung reflektieren. Dabei werden wir uns moderne Racheakte, die uns die Schönheitschirurgie ermöglicht, ebenso ansehen wie klassische Racheimpulse im Western und Formen der Selbstjustiz.
Heidi Spanl


Sonntag 17. März 2013, 17:30 Uhr
The Searchers
(Der schwarze Falke) - USA 1956 – R: John Ford – B: Frank S. Nugent - K: Winton C. Hoch – D: John Wayne, Jeffrey Hunter, Vera Miles, Ward Bond, Natalie Wood. – 119 min, OmU
Kommentar: Salek Kutschinski , Mathias Lohmer

Ein wilder, träumerischer Western! In seiner wohl unbehaustesten, vagabundierendsten Rolle ver­körpert John Wayne einen vom Bürgerkrieg seelisch versehrten Veteranen. Die Massakrierung seiner Verwandten durch Komantschen läßt ihn sein letztes Refugium verlieren, das in gespens­tischen Technicolor-Farben ertrinkt. Erfüllt von Haß und Rachewünschen findet er strukturierenden Lebensinhalt in einer jahrelangen Suche nach der entführten Nichte. Der Film zeigt die Dynamik von Rache und rassistischem Hass als ein Ergebnis extremen Verlusterlebens. Ein heimliches Motiv wird von Ford durch die Zeichnung der Familienbande eher diskret verschlüsselt. Ist Erlösung mög­lich? That´ll be the day!


Sonntag 21. April 2013, 17:30 Uhr
La piel que habito
((Die Haut in der ich wohne) - Spanien 2011 - R: Pedro Almodóvar – B: Pedro Almodóvar - K: José Luis Alcaine - M: Alberto Iglesias - D: Antonio Banderas, Elena Anayal - 117 min, OmU
Kommentar: Matthias Baumgart, Irmgard Nagel

Mit düsteren, aber doch schönfarbigen und raffiniert belichteten Bildern, meist Innenaufnahmen, zieht uns Aldomóvar in die Welt des Chirurgen Robert Legard (Antonio Banderas), der Vera (Elena Alanya), eine bildschönen Frauengestalt, gefangen hält. Er experimentiert an ihr, um eine perfekte, unverletzliche menschliche Haut zu entwickeln. In Rückblenden erfahren wir nach und nach von Legards Schicksal – er hat seine Frau und seine einzige Tochter verloren - und schließlich auch von dem bizarren, schockierenden Racheprojekt, das mit seiner wissenschaftlichen Besessenheit unauf­löslich verwoben ist. Der Film, der als Variation des mad scientist-Genres zu beginnen schien, erweitert sich damit zu einer vielschichtigen filmischen Phantasie über Verluste und den Versuch, diese ungeschehen zu machen, über die Schuld des Täters und des rächenden Opfers, über das, was den Menschen unter der Haut ausmacht, und wie so oft bei Aldomóvar, über die Geschlechts-identität.
Auch diesen Film gestaltet er in seiner typischen, sich moralisierender Stellungnahmen weitgehend enthaltenden assoziativen Erzählweise. Gerade dadurch gelingt es ihm, die Zuschauer auf weit kreativere Weise zu verstören, als es mit einem konventionell gestalteten Horrorfilm möglich wäre.


Sonntag 26. Mai 2013, 17:30 Uhr
Witness for the Prosecution
(Zeugin der Anklage) - USA 1957 - R: Billy Wilder – B: Larry Marcus, Billy Wilder, Harry Kurnitz - D: Marlene Dietrich, Charles Laughton, Tyron Power - 113 min, OmU.
Kommentar: Eva Friedrich, Vivian Pramataroff-Hamburger

Ist es Rache? Ist es Gier? Witness for the Prosecution spielt mit beiden Motiven. Eine reiche Witwe ist ermordet worden, aber der halbseidene Handelsvertreter (Tyron Power), dem sie ihr Vermögen hinterlässt, will es nicht gewesen sein. Ein patentierter Schneebesen belegt seine Treuherzigkeit, und seine liebende Ehefrau (Marlene Dietrich) tritt auf den Plan: Sie überredet – mit dem Repertoire der femme fatale – den alternden Staranwalt (Charles Laughton) den Fall zu übernehmen. Doch vor Gericht verwandelt sie sich in einen kalten, bösartig-deutschstämmigen Racheengel und will ihren Mann aufs Schafott bringen. Gerettet wird der aussichtslose Fall durch eine Unbekannte, die dem Anwalt decouvrierende Liebesbriefe der Zeugin verkauft. Siegt also das niedere, libidinöse Motiv der Gier über das „höhere“, die narzisstischen Restitution durch Rache? In einem fulminanten Finale zwischen Gier- und Rachemotiv wird die Geschichte noch zweimal auf den Kopf gestellt. Zuerst siegt die Libido (will sagen die Liebe); aber schlussendlich gehen wir – und da geht der Film über die literarische Vorlage von Agatha Christie hinaus – mit der süßen Gewissheit nach Hause, dass der gütige (und, was Zigarren und Whisky betrifft, freudvoll libidinöse) Vater endlich der Rache zu ihrem Recht verhilft, das der betrogenen Liebe zusteht.


Sonntag 16. Juni 2013, 17:30 Uhr
La Mariée était en noir
(Die Braut trug schwarz) - F/I 1968 – R: François Truffaut – B: François Truffaut, Jean Louis Richard - M: Bernard Herrmann D: Jeanne Moreau, Michel Bouquet, Jean-Claude Brialy - 107 min, OmU
Kommentar: Corinna Wernz, Katharina Leube-Sonnleitner

Trauma mit nachfolgender Gefühlsabspaltung, totale Einsamkeit, Lebensüberdruss: dieser Film handelt von Rache als Bewältigungsversuch, der nicht gelingen kann. Am Tag der Trauung hatte Julie, dargestellt von einer mysteriösen, scheinbar eiskalten und hocherotischen Jeanne Moreau, ihren Mann durch einen unbeabsichtigten Schuss aus einem der Kirche gegenüber liegenden Fenster verloren. Was juristisch allenfalls als Totschlag gelten könnte, stellt in Wahrheit die Konsequenz rücksichtslosen Imponiergehabes und sinnentleerter Vergnügungen dar. Julie glaubt, ihre seelische Integrität nur wiederherstellen zu können, indem sie kompromisslos Rache nimmt, um die Tat zu sühnen. Sie entlarvt dabei die beteiligten Männer in ihrer jeweiligen Fixierung auf eine Weiblich­keitsfantasie und nimmt uns nebenbei auf einen Streifzug durch die französische Provinz mit deren teils verklemmten, teils pseudo- libertinären Protagonisten mit. Truffaut erweist mit diesem Film seinem Vorbild Hitchcock Referenz, nicht zuletzt durch die Filmmusik von B. Herrmann, der u.a. „ Psycho“, „Vertigo“ und „ North by northwest“ musikalisch gestaltet hatte.


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