Frühere Filmvorführungen

Thema - Borderlands

Borderline – Borderland - Die epochale Signatur 'Borderland' bezeichnet einen Umbruch in der kulturellen Identität. Unsichere, diffuse Grenzziehungen sind ein Signum der Gegenwart. Nicht nur in Drogenterritorien wie South-Arizona und an der tödlichen Schengen-Grenze, nicht nur im atavistischen Territorialkrieg in der Ukraine – sondern im Niemandsland der virtuellen Topographie des Global Village. Wenn im „Spatial Turn“ Lebensräume wieder in den Blick geraten, dann gerade deshalb, weil dort nichts mehr wirklich entschieden wird.
Mitte der Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde das psychoanalytische Paradigma der Borderline-Persönlichkeit prominent, geprägt von Grenzdiffusion und Spaltung. Das Borderline-Konzept bietet einen Schlüssel zum Film als psychoanalytische Deutung der postmodernen globalen Gesellschaft. Borderland-Filme wirken, weil sie Zuschauer mit sich selbst konfrontieren, die leibhaftig in einen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Grenz- und Identitätsverlust verstrickt sind.
Prof. Dr. Andreas Hamburger


Sonntag, 18. Oktober 2015, 17:30 Uhr
BEIT LECHEM (Bethlehem)
– Israel 2013 – R: Yuval Adler – K: Yaron Scharf – D: Tsahi Halevi, Shadi Mar´i, Hitham Omari, Tarik Kopty – 99 min, OmU
Einführung und Kommentar: Salek Kutschinski und Katharina Leube-Sonnleitner

Der auf mehrjährigen Recherchen basierende Spielfilm bietet weder Lösungsvorschläge noch Visionen für den chronischen israelisch-palästinensischen Konflikt. Erstaunlicherweise kann der Film jedoch sämtliche von den Protagonisten vertretenen Positionen - und es sind aufgrund der miteinander rivalisierenden palästinensischen Gruppen viele - verstehbar machen. Die psychologische Spannung entsteht weniger durch den an Action nicht armen Plot, als durch die Vermischung von Zuneigung, Empathie und Ausbeutung in der engen Beziehung zwischen einem sympathisch dargestellten israelischen Geheimdienstler und einem jugendlichen palästinensischen Informanten, dem eigentlichen Sympathieträger, für dessen innere Zerrissenheit nur der ihn instrumentalisierende Israeli Verständnis hat. Das in seiner Archaik pasolineske Finale verdeutlicht die individuelle wie auch kollektive Verstricktheit in einen nicht auflösbar erscheinenden Konflikt.


Sonntag, 22. November 2015, 17:30 Uhr
No Country for Old Men
– USA 2007 - R: Ethan und Joel Coen - B: Ethan und Joel Coen nach der Romanvorlage von Cormac McCarthy - D: Tommy Lee Jones, Javier Bardem, Josh Brolin, Woody Harrelson, Kelly Macdonald - 122 min, OmU
Einführung und Kommentar: Andreas Hamburger

Der zwölfte Film der Coen-Brüder, ihre erste Romanverfilmung, gleicht einem »intertextuellen Tanz«, in dem die Vorlage von Cormack McCarthy eine postmoderne Reinszenierung findet, ein Spiel mit dem Genre. Der Film unterläuft die klassische Western-Tradition, die sich ja immer auf einen hintergründigen Moraldiskurs bezieht, indem er Relikte vertrauter Westernfiguren zitiert wie den Lawman, den Cowboy und den Hitman, und sie zugleich dekonstruiert. Sheriff Bell (Tommy Lee Jones), der positive Held des Films, ist von Anfang an der Unterlegene – nicht nur weil er der Kälte des Killer Chigurh (Javier Bardem) nicht gewachsen ist, sondern weil seine eigene Identität im Borderland der texanischen Wüste sich ins Absurde verwandelt. Ist Chigurh Repräsentant der affektfreien, eiskalten Rationalität, so werden die klassischen Cowboys neben ihm zur entleerten Folklore. Frauen werden als einzig authentisch Liebende gezeigt, aber auch sie haben kaum eine Chance des Überlebens. Der Film hinterlässt keinen Trost. Die filmpsychoanalytische Lektüre des raffiniert komponierten Films und seiner subliminalen Botschaften zeigt, wie er im Zuschauer die Verlassenheit des Säuglings auslöst, der sich der Dürre ausgeliefert wähnt und keine Beziehung zu einer lebens-und sinnspendenden Brust aufnehmen kann.


Sonntag, 13. Dezember 2015, 17:30 Uhr
Judgment – Grenze der Hoffnung
(Съдил ището) – SBG, DE, HR, MK 2014 - R: S. Komanderev - B: S. Komandarev, M. Damjanov - D: Blatechki, Torosjan, Manojlovic - 107min, OmU
Einführung und Kommentar: Vivian Pramataroff-Hamburger und Katharina Leube-Sonnleitner

Der Milchfahrer Mityo (Assen Blatechki) lebt in einem kleinen bulgarischen Dorf unweit der Grenze zur Türkei. Seit dem kürzlichen Tod seiner Frau hat er ein schwieriges Verhältnis zu seinem 18-jährigen Sohn Vasko (Ovanes Torosjan). Als dann auch noch die Hypothek eingefordert wird und er zusätzlich seinen Job verliert, scheint sein Leben endgültig aus den Fugen zu geraten. Widerstrebend nimmt er das Angebot eines Ex-Armee-Hauptmanns (Predrag Manojlovic) an, illegale Einwanderer über die Grenze zu schmuggeln. Verdrängte Erinnerungen und Schuldgefühle kommen hoch – denn schon früher hat Mityo an dieser Grenze gedient. Ein Film um Fragen von Vergangenheitsbewältigung und Vergebung. Aus psychoanalytischer Sicht wird der Vater-Sohn-Konflikt in einer „vaterlosen Gesellschaft“ thematisiert.


Sonntag, 17. Januar 2016, 17:30 Uhr
Lichter
- Deutschland 2003 – R: Hans-Christian Schmied –D: Hans-Christian Schmied, Michael Gutmann – K: Bogumil Godfrejow – M: The Notwist – D: Ivan Shvedoff, Anna Janowskaja, Sergej Frolov u.a. – 105 min
Einführung und Diskussion: Mathias Lohmer und Corinna Wernz

In diesem wirklichkeitsnahen Episodendrama erzählt Christian Schmid auf lakonisch-bedrückende Weise Geschichten aus dem deutsch-polnischen Grenzgebiet um Frankfurt/Oder. Der preisgekrönte, fast dokumentarisch anmutende Film lässt uns eintauchen in die notgeborenen Verwicklungen von Menschen, die versuchen, sich durch Schlepperei, Schmuggel, Prostitution und Hehlerei über Wasser zu halten. Grenzgebiet und Grenzsituationen der Akteure und die zwischenmenschliche Gewalt werden verstörend eindringlich abgeschildert, ohne uns den Ausweg einer billigen Identifikation oder Bewertung anzubieten.


Sonntag, 21. Februar 2016, 17.00 Uhr
Babel
- F, USA, M 2006 – R: Alejandro Gonzáles Inárritu – B: Guillermo Arriaga, - M: Gustavo Santaolalla – D: Brad Pitt, Cate Blanchett – 142 min, OmU
Einführung und Diskussion: Eva Friedrich und Heidi Spanl

Nicht nur in der verstiegenen Höhe und der Enge des mythologischen Turmes zu Babel, nach dem der Film seinen Titel trägt, auch in der globalen Weite von Ländern und Kontinenten gibt es Konflikte durch Sprachverwirrung und Missverstehen. Verschiedene Kulturen, Lebensformen sowie Lebensstandards liegen nebeneinander, sind getrennt und doch führen Begegnungen an inneren und äußeren Grenzen zu unvorhersehbaren Ereignissen, die miteinander verbunden sind. Der Unfall stellt das Bindeglied in seinem Episodenfilm dar und führt vier Schicksale, die an und über Grenzen gehen zusammen. Ein amerikanischer Tourist kämpft um das Leben seiner Frau in der Wüste Marokkos, eine mexikanische Kinderfrau kämpft darum, wieder in die USA mit ihren beiden Zöglingen einzureisen, eine taubstumme Jugendliche versucht den Tod ihrer Mutter und die Verwicklung des Vaters in der Glitzerwelt Tokios zu bewältigen. Erst die existenzielle Bedrohung zwingt Protagonisten und Zuschauer die „Störung“ wahrzunehmen. Sie ermöglicht und fordert aber auch Veränderung. In wunderbaren Bildern und faszinierender Musik bleibt Hoffnung auf Verständigung.


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